Wann, wenn nicht jetzt? — Segeln am Neusiedler See in der Saison 2023

Gerhard Svolba
7 min readMay 3, 2023

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13. bis 15. April 2023: Es regnet! Und das nicht punktuell und kurz aus einer Wolke, sondern lange und flächendeckend. Ein Genuss für alle, die sich um den Wasserstand des Neusiedler Sees Gedanken machen. Und der Wasserstand steigt. Um knapp 11 cm.

Es gibt sie also doch noch; die Tage, wo der Regen die See steigen lässt. Man darf sich also kurz auch einmal freuen. Dieser Artikel beschäftigt mit der Frage “Reicht das für die Segelsaison 2023?” und “Wie sehen die Wasserstands-Szenarien für das Jahr 2023 aus?”.

Genauso wie für meinen Artikel “Der Wasserstand am Neusiedler See im Jahr 2022 — Sichtweisen eines Seglers und Statistikers” aus dem letzten Jahr habe ich die Daten von der Website der Hydrologie Burgenland abgezogen und die Simulationen und Graphiken in SAS Viya erstellt.

Plus 11 cm oder minus 13 cm?

Plus 11 cm sind zwar wichtig und jeder Zentimeter Wasserstand zählt derzeit. Die traurige Nachricht ist aber, dass wir nach wie vor auf ein Negativ-Rekordjahr zu steuern.

Die Langzeit-Vergleich Wasserstandsgraphik der Hydrologie Burgenland zeigt sehr deutlich, dass der Wasserstand Mitte April zwar gestiegen ist (blaue Linie), aber derzeit immer noch um 13 cm unter dem Wert des Jahres 2022 liegt (grüne Linie). Auf den mittleren Wasserstand seit 1965 fehlen uns sogar 48 cm.

https://wasser.bgld.gv.at/hydrographie/die-seen/mittler-wasserstand-neusiedler-see
https://wasser.bgld.gv.at/hydrographie/die-seen/mittler-wasserstand-neusiedler-see

Und wie wir alle wissen, war das Jahr 2022 schon mit vielen Einschränkungen für den Segelsport, den Surfsport und auch für manche Elektroboote verbunden: bei starken Nordwind war es in Weiden gefährlich auszulaufen, weil man wegen der Wasserverfrachtung ev. nicht mehr in den Hafen kam, Ruderblätter wurden aufgekratzt, Foils und Propeller abgebrochen, und viele, die Anfang September ihr Boot nicht herausgekrant haben, hatten später Probleme überhaupt zum Kran zum kommen.

Simulationsszenarien für das Jahr 2023

Wie kann es 2023 weiter gehen? Wie wir wissen, hängt das primär vom Niederschlag, von der Hitze und der daraus resultierenden Verdunstung und auch von der Wasserverfrachtung durch Wind ab.

Sehen wir uns im folgenden an, was wäre, wenn der Sommer ab jetzt so verläuft der im Vorjahr, oder wie 2021, 2019, 2010, 2003, …
Gleich vorweg, die Aussichten sind alles andere als rosig.

Die zugrundeliegende Idee der Simulation

In der dieser Analyse werfen wir einen Blick auf die letzten verfügbaren Jahre, für die ich Daten habe. Das sind die Jahre 1999 bis 2022, also insgesamt 24 Jahre. Für diese Jahre wissen wir, wie es ab dem 3. Mai mit dem Wasserstand weitergegangen ist.

In meiner Simulation verkette ich nun den aktuellen Wasserstand im Jahr 2023 mit dem Wasserstand der vergangen Jahre. Genauer gesagt, ich verschiebe die Verlaufskurve der vergangenen Jahre jeweils so, so dass sie am 3. Mai auch 115,10 müA hätte.

Auf Basis dieser Verschiebung können wir nun ableiten, wie das Jahr 2023 weitergehen würde, wenn sich der Wasserstand so entwickeln würde, wie in einem ausgewählten vergangenen Jahr.

Zu erwartende Wassertiefe in Graphik und Tabelle

In der folgenden Graphik ist dies graphisch dargestellt. Die schwarze Linie zeigt bis zum 3. Mai den Wasserstandsverlauf im Jahr 2023. Ab dem 4. Mai sind dann die letzten 24 Jahre angehängt, so dass man erkennen kann, welche Bandbreite und welche Szenarien hier möglich sind. Ein solche Darstellung ist informativer als ausschließlich von Mittelwerten oder Mittelwertsverläufen zu sprechen, denn sie gibt uns auch einen Eindruck über die Variabiltät und Minima und Maxima der letzten 24 Jahre.

Szenarien für die Wassertiefe im Jahr 2023 (Wasserstand minus 114m)

Wenn wir nun den 1. September als Zeitpunkt auswählen, wo wir am Wasserstand interessiert sind (“Wieviel Wasser haben wir am Ende der Ferien im See?”), dann erkennen wir folgendes:

  • In nur zwei der 24 Jahre (das sind 8,3 %) ist der Wasserstand zwischen Anfang Mai und Anfang September in etwa geblieben oder leicht gestiegen und wir hätten 2023 am 1. September somit 1,1 m Wasser im See. Die Jahre 2010 und 2014 sind in obiger Graphik grün eingefärbt.
  • Es gab 5 Jahre (20,8 %), in denen der Wasserstand bis zum 1. September (nur) um maximal 10 cm gesunken ist. Dann wären immer noch
    1 m Wasser im See. Zusammengezählt mit den 2 Jahren mit >1.1 m ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir am 1. September noch mehr als 1 m haben also kleiner als 30 % (29,2 %).
  • Danach wird es rot in der Graphik. In weiteren sechs Szenarien (25,0 %) liegt der Wasserstand zwischen 0.9 und 1.0 m.
  • Und unter 0.9 m liegen wir in 11 Szenarien (45,8 %).

Aus Gründen der besseren Illustration und leichteren Vorstellung verwende ich in diesem Artikel den Begriff “Wassertiefe” und berechne diese als Wasserstand in müA minus 114m. Der See ist natürlich nicht überall gleich tief. Vor der Hafenausfahrt in Weiden am See sind es nochmals 18 cm weniger.

Und wenn es vom 13.-15. April nicht so viel geregnet hätte …

Um zu veranschaulichen, wie wichtig der Regen vom 13.-15. April war, ist hier noch die Szenarien-Graphik per 12. April. Hier muss man nicht viel kommentieren. Das Bild sagt im Vergleich zur obigen aktuellen Graphik mehr als 1000 Worte.

Szenarien für die Wassertiefe im Jahr 2023 per 12. April (bevor der Regen kam)

Etwa 30 Tage früher — Der Juni ist der neue Juli

Wir wissen, dass in den Sommermonaten der Wasserstand wieder sinken wird. Wenn wir per 3. Mai bereits mit -13 cm zum Vorjahr starten, dann werden wir den Zeitpunkt, wann wir vor der Hafenausfahrt stecken bleiben, oder wann wir regelmäßig mit dem Ruderblatt streifen, früher erleben. Das ist natürlich für jedes Boot individuell, aber es wird im Jahr 2023 tendenziell früher eintreten; in diesem Sommer in etwa um 30 Tage früher als letztes Jahr.

In folgender Graphik ist diese Situation dargestellt. Wir sehen in rot die Verlaufskurve des Wasserstands aus dem Jahr 2022 und in blau der Bereich der zentralen 50% der oben gezeigten Szenarien für 2023, sowie den Durchschnitt dieser Szenarien als dunkelblaue Linie.

Es ist sehr schön zu erkennen, dass sich die Verlaufskurve nach links verschiebt, also die niedrigen Wasserstände früher auftreten; im Sommer etwa um 30 Tage früher.

Sehen wir uns ein paar Beispiele an, wie ausgewählte Wasserstände in den Szenarien für 2023 schon früher auftreten:

  • 1,06 m: 14. Juli 2022 → 11. Juni 2023 (gelber Pfeil in der Graphik)
  • 1,02 m: 22. Juli 2022 → 28. Juni 2023
  • 1,00 m: 29. Juli 2022 → 4. Juli 2023 (oranger Pfeil in der Graphik)
  • 0,96 m: 10. August 2022 → 25. Juli 2023

Schlussfolgerung: Wann, wenn nicht jetzt?

Also: nicht abwarten und überlegen, ob und wann ihr heuer segeln gehen werdet. Es wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht besser werden. Sondern jetzt das Boot kranen und das Frühjahr nutzen.

Natürlich ist es ein gewisser Aufwand, sein Boot für das Kranen bereit zu machen, zu putzen, den Mast aufzustellen und segelfertig zu machen.

Wir wissen aber nicht, wie es die nächsten Jahre weitergeht. Wenn wir Pech haben, haben wir 2024 noch weniger Wasser im See. Im schlimmsten Fall sogar einige Jahre Segelpause. Vielleicht denken wir dann an dieses Frühjahr zurück und denken uns: Wie vergleichsweise gut wäre es im Frühjahr/Sommer 2023 doch noch gegangen.

Persönliche Bemerkungen

Da das Kielschwert meiner Shark nicht vollständig in den Kiel einklappen kann und die überstehenden 9 cm den Tiefgang von 61 cm auf 70 cm erhöht haben, habe ich dieses vor 2 Wochen ausgebaut. 9 cm weniger Tiefgang bedeuten 4 Wochen länger segeln. Den Gewichtsverlust, ca. 60 kg weniger Ballastgewicht, und die verringerte Lateralfläche nehme ich gerne in Kauf, wenn ich länger segeln kann. Außerdem konnte ich das Schwert ohnedies die ganze Saison 2022 nicht ausklappen.

Ich bin also schon fleißig unterwegs und versuche meine Segeltage in der Saison 2023 ins Frühjahr/Frühsommer zu verlegen. Es freut es mich natürlich, dass ich im Jahr 2023 der erste war, der im Yachtclub Podersdorf mit seinem Schiff angelegt hat und auf deren Homepage genannt wurde. Gleichzeitig möchte ich Euch motivieren auch JETZT segeln zu gehen: Frei nach dem Motto: Nachmachen ist erlaubt!

Links

  • Svolba G.: Der Wasserstand am Neusiedler See im Jahr 2022 — Sichtweisen eines Seglers und Statistikers, Medium.com, 2022, Link
  • (sehr gute) Website der Hydrologie Burgenland mit Graphiken, Statistiken und Daten zum Wasserstand
  • K. Maracek, C. Sailer: Ebbe am Neusiedler See, wann kommt das Wasser zurück? — Eine Beurteilung der Situation aus hydrologischer und wasserwirtschaftlicher Sicht, 22.3.2022, Link.
  • Svolba G: Youtube Webinar: Simulations-Szenarien für den Wasserstand des Neusiedler Sees im Jahr 2020 Deutsch | Englisch
  • Svolba G: Vortragsfolien zum Vortrag “Steht uns das Wasser bis zum Hals? Oder doch nur bis zu den Knien? — Modellierung und Visualisierung der Wasserstandsveränderungen am Neusiedler See mit SAS Viya” auf der Predictive Analytics Konferenz, Wien, Oktober 2021
  • Hackl, P., & Ledolter, J. (2023). A Statistical Analysis of the Water Levels at Lake Neusiedl. Austrian Journal of Statistics, 52(1), 87–100. Link
  • Ledolter J (2008). A Statistical Analysis of the Lake Levels at Lake Neusiedl. Austrian Journal of Statistics, 37, 147–160. doi:10.17713/ajs.v37i2.296.
  • Neusiedler See Wiki http://www.neusiedlerseewiki.at/Neusiedler_See

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Gerhard Svolba

Applying data science and machine learning methods-Generating relevant findings to better understand business processes